#twofaced (Kap. 13)
Leo bedenkt mich mit einem strahlenden Lächeln, dann wandert sein nun eher besorgter Blick zu seiner besten Freundin Milena. Die kommt aus dem Staunen anscheinend gar nicht mehr heraus, denn ihre Augen sind riesig wie Teller und starren auf Leos T-Shirt, in das ich gekleidet bin. Dabei kann ich ihr versichern, dass gestern Nacht nichts zwischen uns gelaufen ist. Wir haben bis zum Ende der Party einfach nur geredet, während wir in Decken eingekuschelt auf seiner Terrasse gesessen und uns die Sterne angeschaut haben. Ich habe erfahren, dass er am liebsten seine Freizeit mit Gitarre spielen zubringt, Sommer seine Lieblingsjahreszeit ist und er Milena schon seit Kindertagen kennt und sie wie eine Schwester sieht. Ich habe mich an seiner Seite so wohl gefühlt, wie seit langem nicht mehr. So wohl, wie ich mich selbst an Jonas Seite nicht fühle. Seit langem nicht mehr.
Nachdem alle Missverständnisse zwischen Leo, Milena und mir geklärt sind, beenden wir plaudernd unser Frühstück. Milena erklärt mir den Grund für ihr gestriges Verschwinden, welches daran lag, dass sie eine Schicht in der Bar hinter sich hatte, in der sie ihr Taschengeld verdient. Mitfühlend nicke ich, während sie uns beiden von dem jungen Mann berichtet, der sie gestern angesprochen und ihr sogar seine Handynummer zugesteckt hat. „Ich weiß nicht, was ich tun soll? Soll ich die Nummer entsorgen? Soll ich mich bei ihm melden?“ Während Leo als ritterlicher Beschützer dazu tendiert, die Nummer in den Müll zu werfen, neige ich dazu, Milena anzubieten, sich bei dem jungen Mann zu melden. „No risk, no fun“, schiebe ich hinterher und grinse. Milena schenkt mir ebenfalls ein Grinsen, dann holt sie ihr Handy aus der Rocktasche, löst die dunkelblaue Hülle von dem silbernen Smartphone und zum Vorschein kommt ein Zehn- Euro- Schein, auf dem mit schwarzem Filzstift eine Telefonnummer draufgeschrieben steht. „Na, dann wollen wir mal“, verkündet Milena und zückt ihr Handy, um die Nummer eintippen zu können. Leo schaut währenddessen nicht unbedingt begeistert drein.
„Oh, ähm, hi“, stammelt Milena und ihre Wangen erröten leicht. Leo schnaubt und ich bin einfach nur überrascht, weil ich dieses mysteriöse Mädchen, welches ich eigentlich nur vom Sehen kenne, immer nur selbstbewusst erlebt habe. Bis jetzt, denn dieses Telefonat mit dem wildfremden Typen scheint sie doch eher aus der Bahn zu werfen. Um sie in Ruhe telefonieren lassen zu können, greife ich nach Leos Arm und lotse ihn aus der Küche. Kaum stehen wir auf dem Flur, zischt er: „Er ist ein fremder Mann und du rätst ihr, ihn anzurufen?“ Er sieht wütend aus, enttäuscht. Ich schlucke den aufkeimenden Kloß in meinem Hals hinunter und senke den Blick. Ich habe ihn enttäuscht und deshalb beschließe ich, nach oben zu gehen und mich schnell umzuziehen. Anscheinend habe ich mir die Verbindung zwischen uns nur eingebildet, denn als ich ihn stehen lasse, folgt er mir nicht. Auch als ich wieder nach unten komme und ihm mitteile, dass sein T-Shirt im Wäschekorb gelandet ist, nickt er bloß schweigend und murmelt nur ein leises „Tschüss“, als ich aus dem Haus verschwinde.