Fortlaufende Geschichten

Neben dir sein (Kap. 7)5 Minuten Lesezeit

Vor dem nächsten Schultag fürchte ich mich schon den ganzen Sonntag, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Marco mit mir reden möchte über meinen mehr als peinlichen Auftritt bei seiner Party. Allein schon seine ganzen Nachrichten, die mein Handy durchgehend summen lassen, bestätigen meine Befürchtungen. Auch meine Versuche, ihn dadurch abzuschrecken, dass ich ihm nicht antwortete, bewirken genau das Gegenteil. Er versucht nur hartnäckiger mich zum Reden, beziehungsweise zum Schreiben, zu bewegen. Als ich am darauf folgenden Montag meine Augen öffne, bin ich total müde, weil mein Gehirn es für angebracht gehalten hat, mich die ganze Nacht wach zu halten, mit Gedanken an Marco. Zwischendurch ist auch noch Nick dazwischengefunkt, was den Traum stellenweise zu einem Albtraum mutieren ließ. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen, gefolgt von einem herzhaften Gähnen. Die Müdigkeit sitzt in meinen Knochen, in meinen Muskeln und in meinen Hirnzellen. Ich muss dringend unter die Dusche. Das kalte Wasser macht es teilweise möglich, mich etwas frischer und lebendiger zu fühlen, trotzdem fühle ich mich schlapp. Jedes Mal, wenn ich für einen kurzen Augenblick die Augen schließe, sehe ich einzelne Fragmente aus dem gestrigen Traum. Ich möchte diesen Film nicht in meinem Kopf abgespielt bekommen, Marco hat sich dort aber eingenistet wie ein Eindringling. Wie ein lästiges Bakterium, das sich von keinem Medikament vertreiben lässt. Der Badezimmerspiegel ist nur ganz leicht beschlagen, ich kann mich gut darin erkennen, ohne den Dampf wegwischen zu müssen. Ich habe leichte Ringe unter den Augen, nicht einmal die Tabletten haben mir gestern Nacht geholfen. Meine Nase ist über und über mit Sommersprossen bedeckt, die kaum zu meinen dunkelbraunen Haaren passen. Nick hat immer gesagt, die Sonne würde mich küssen, weil ich so süß wäre. Gott, Nick. Ich kneife die Augen zusammen und presse mir die Hand auf den Mund, damit ich nicht losheulen oder –schreien kann. Nachdem ich diese Gedanken weggesperrt habe, widme ich mich wieder meinem Spiegelbild und dem Zähneputzen. Vor dem Schminktisch verdecke ich die gröbsten Störfaktoren und binde meine langen Haare dann zu einem hohen Pferdeschwanz. Trotz des dunklen Makeups sehe ich blass und ungesund aus, als wäre ich ein Vampir, der nie die Sonne erblicken kann. Nach Nicks Tod bin ich ja auch praktisch zu einem mutiert. Früher sind wir oft zusammen draußen gewesen, aber jetzt kann ich mich nicht dazu durchringen. Einer Tätigkeit nachgehen, die mich mit ihm verbindet.

Ohne Frühstück verlasse ich das Haus und lasse es leer und einsam hinter mir zurück. Der Bus ist noch nicht da der kleinen Menschenmasse nach zu urteilen. Meine Kopfhörer habe ich zu Hause vergessen, also kann ich die Wartezeit auch nicht mit Musik versüßen. Mit großer Verspätung hält der Bus mit quietschenden Reifen und sofort versuchen alle auf einmal ins Innere zu gelangen. Ich halte mich im Hintergrund und steige erst zum Schluss ein. Auch beim Aussteigen an meiner Haltestelle warte ich so lange, bis alle anderen das Transportmittel verlassen haben. Ich möchte möglichst viel Zeit herauszögern, damit ich Marco nicht begegnen muss. Ich erreiche die Tür, ohne von ihm aufgehalten worden zu sein und wäge mich in Sicherheit, als ich ein lautes Rufen meines Namens wahrnehme. Verdammt. „Hey, Kleine“, begrüßt Marco mich strahlend. Anscheinend hat er sich nur kurz an meinen richtigen Namen erinnert, sein blöder Spitzname für mich ist ihm wohl lieber. Ich nicke ihm stumm zu, hoffe, dass er dadurch versteht, dass ich keine richtige Lust auf seine Gesellschaft und den zusammenhangslosen Smalltalk habe.  „War dein Kater schlimm?“, erkundigt er sich, sein Tonfall klingt aufrichtig besorgt. Erneut bringe ich nur ein Nicken zustande und fummele an meinen Rucksackriemen herum. Ich habe gerade wirklich keinen Nerv übrig für dieses Geplänkel. „Ich muss los“, sage ich und schlage die Richtung ein, in der sich mein Kursraum befindet. „Warte!“, ruft er mir noch hinterher, woraufhin ich meinen Schritt noch mehr beschleunige. Ich kann das alles nicht. Seine nette Art, die blöden Sprüche und die Frisur erinnern mich zu sehr an Nick. Ich schüttele leicht den Kopf und hoffe, damit diese Gedanken vertrieben zu haben, die mir so viel Kraft rauben. Der Unterricht hat nicht einmal begonnen, dennoch fühle ich so, als hätte ich den ganzen Tag geschuftet. Aber diese Gedanken krallen sich in mir fest wie tierische Krallen und ich komme nicht davon los. Sie nehmen mich ganz ein, verschlingen mich mit Haut und Haaren, sodass kein Platz mehr für andere Informationen bleibt. Wie immer schwebt der Tag an mir vorbei, nichts davon bleibt bei mir hängen. Dafür sind die Widerhaken meiner fiesen Gedanken zu stark und zu fest. Am Ende der Stunde hätte ich beinahe sogar verpennt, dass die Lehrerin ja mit mir sprechen wollte. Ihr besorgter und mitleidiger Blick versengt meine Schutzwand und ich verschränke die Arme vor der Brust, um meine Haltung wahren zu können. „Elise, setz dich doch“, bietet sie mir an und schenkt mir ein halbherziges Lächeln, so als wüsste sie nicht ganz, ob ich zurechnungsfähig bin oder ein totaler Psycho. Um sie nicht unnötig zu reizen, nehme ich auf dem Stuhl Platz, auf den Frau Scheimann gedeutet hat, die Arme weiterhin vor meiner Brust verschränkt. „Ich wollte mit dir sprechen“, teilt sie mir noch einmal mit, als hielte sie mich für total bescheuert. Ich bin nicht dement, hätte ich beinahe geantwortet. „Deine Leistungen sind stark zurückgegangen und wir finden, dass wir als deine Lehrkräfte genug Rücksicht auf dich und deinen Zustand genommen haben. Es ist unfair den anderen Schülern gegenüber.“ Ihre Stimme kommt nur gedämpft in meinen Ohren an. Mein Zustand? Als wäre ich eine psychisch labile Gestörte, die Amok laufen will. Und nicht nur ein normales Mädchen, das mit ansehen musste, wie ihr Freund erstochen wurde. Aber die Lehrer haben ja genug Rücksicht genommen. Innerlich krampft sich alles in mir zusammen. Diese ganzen Arschlöcher verstehen kein bisschen von dem innerlichen Schmerz, von dem schwarzen Loch, dass alles aufsaugt. Und nur die blöden Gedanken zurücklässt, die unaufhörlich in meinem Kopf kreisen und einfach nicht aufhören wollen.

Willkommen auf meinem Blog. Ich heiße Anastasia, bin 22 Jahre alt und lebe in Krefeld. Ich schreibe seit ungefähr elf Jahren und es ist zu einem Zufluchtsort geworden, neue Charaktere zu erschaffen und mir neue Welten auszudenken. Ich liebe es zu lesen und möchte meine Liebe zu Büchern mit anderen teilen!

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