Neben dir sein (Kap. 14)
Die darauffolgenden Schultage nach dem Treffen mit Marco verlaufen ziemlich unspektakulär. Ich widme mich voll und ganz den Schulaufgaben, versuche, das aufzuarbeiten, was ich in den letzten Monaten verpasst habe und mache gewissenhaft meine Hausaufgaben. Am Ende der Woche zahlt sich meine harte Arbeit aus, denn ich werde von meiner Deutschlehrerin für meine mündliche Mitarbeit gelobt. Zwar habe ich mich nur einmal gemeldet, was sie aber im Vergleich zu meiner abwesenden Beteiligung in der letzten Zeit sichtlich erfreut hat. Nach der Schule mache ich mich auf zu Marcus, der mich wie jeden Freitag erwartet. Auf dem Couchtisch stehen wie gewohnt Plätzchen, die diesmal aber bunt verziert sind mit Lebensmittelfarbe und verschiedenen Streuseln. „Hat meine Tochter zusammen mit meiner Frau gebacken“, erklärt er mir, als er meinen Blick bemerkt. Ich nicke bloß, weil ich nicht wirklich weiß, wie ich diese neu gewonnene Information einordnen soll. Natürlich hat Marcus etwas Väterliches an sich, dennoch kann ich mir nicht wirklich vorstellen, wie er etwas mit seiner Tochter unternimmt. Für mich ist er einfach Marcus, der Seelenklempner. „Wie geht es dir?“, stellt er mir die obligatorische Therapeutenfrage und lächelt dabei zaghaft. Ich habe wie immer kein wirkliches Interesse daran, mich ihm zu öffnen und ihm meine Gefühlswelt auf einem silbernen Tablett zu servieren. Also lächele ich ebenfalls und sage: „Gut. Mir geht es gut.“ Er ruckelt ein wenig an seiner Brille herum, schiebt diese dann auf seinen Kopf und sieht mich aus großen Augen an. Sein Blick ist neugierig. „Möchtest du mir vielleicht von deiner Woche erzählen?“, fragt er und setzt sich seine Brille wieder auf die Nase. Dieses Hin und Her wiederholt er ständig, so als könne er sich nicht entscheiden, ob er besser oder schlechter sehen will. „Meine Woche war auch gut“, erwidere ich und schaue ihm dabei fest in die Augen. Ich möchte nicht, dass er denkt, ich wäre verunsichert durch seine Fragen, denn das bin ich nicht. Ich weiß, wie ich ihn hinhalten kann, dass er denkt, ich würde kooperieren. Marcus nickt und sagt: „Erzähl mir doch bitte, was sich in dieser Woche für dich geändert hat. Deine Mutter hat erzählt, du würdest jetzt mehr für die Schule tun.“ Manchmal vergesse ich, dass meine Mutter ebenfalls bei Marcus in Therapie ist und er so gesehen wie ein Vermittler zwischen uns beiden steht. „Ja, das stimmt.“ Ich hoffe, wir gehen jetzt nicht noch weiter ins Detail zu meinem plötzlichen Interesse an der Schule.
Die Therapiestunde ist nach weiteren qualvollen dreißig Minuten zum Glück vorbei und nach meiner Zustimmung, mehr für die Schule zu tun, sage ich nichts mehr und Marcus hält mehr oder weniger einen Monolog über die Vorteile von Hypnosesitzungen. Meine Mutter hat das mehrmals so nebenbei erwähnt, aber ich habe da nicht wirklich drauf reagiert. Marcus hofft aber anscheinend, dass ich mich dafür entscheide, so erpicht wie er darüber spricht. Draußen ist es kalt, als ich aus der Praxis trete, nachdem Marcus mich mit einem Seufzer entlassen hat, weil er offensichtlich gemerkt hat, dass ich nicht auf sein Geschwafel anspringe.