#twofaced (Kap. 9)
Ich sitze vor meinem Schminktisch, starre in den Spiegel. Meine Haut ist nicht mehr so blass wie zuvor, als ich frisch aus der Dusche gestiegen bin. Ich habe etwas Foundation aufgetragen, mein Gesicht gepudert, meine Nase und die Wangenknochen konturiert. Meine Wimpern habe ich mit der neuen Wimperntusche, die meine Mutter mir vor ein paar Tagen aus dem Douglas mitgebracht hat, getuscht, ein feiner Lidstrich ziert meine Augenlider und lässt meine Augen interessanter wirken. An meiner Schule würde beinahe jedes Mädchen töten, um so aussehen zu können wie ich, aber niemand ahnt auch nur, wie viel Arbeit ich täglich in mein Äußeres investiere, um so perfekt und makellos erscheinen zu können. Meine Wangen sind ein wenig gerötet von dem zarten Hauch Rouge, welches ich ebenfalls zuvor aufgetragen habe, meine Lippen glänzen rosig. Jonas liebt es, wenn ich Lipgloss auftrage, also ist es das, was ich immer tue, bevor ich zu ihm fahre. Mit einem zufriedenen Lächeln erkläre ich mein Make-Up als akzeptabel und erhebe mich von dem samtigen, pinken Hocker, um mir ein passendes Outfit für Jonas raussuchen zu können. Ich öffne die Tür zu meinem begehbaren Kleiderschrank, trete in den kleinen Raum und steige aus meiner hellgrauen Leggings und dem beigen Tanktop. In schwarzem Tanga und schwarzen BH stehe ich in dem Zimmer und suche zwischen den Bügeln, an denen meine Kleider hängen, nach dem Kleid, welches Jonas so gerne an mir mag. Es hängt versteckt zwischen einem dunkelblauen Chiffonkleid und einem schwarzen Latzkleid aus Cord. Das Wickelkleid ist karminrot mit einem für meine Verhältnisse tiefen Ausschnitt, zudem ist es relativ kurz. Oben eng und unten ausfallend in einen schwingenden Rock, ist das Kleid perfekt für den romantischen Abend, den Jonas für mich geplant hat. Ich habe eigentlich keine große Lust, heute noch das Haus verlassen zu müssen, aber ich will weder meine Mutter, noch meinen Freund enttäuschen, weshalb ich in das Kleid schlüpfe und dann meine Haare zurechtzupfe, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Ich schnappe mir noch eine kleine, schwarze Umhängetasche von dem Haken, sowie meine schwarzen Overknee-Stiefel in Wildlederoptik, dann verlasse ich mein Ankleidezimmer und laufe nach unten. Meine Mutter sitzt mit meinem Vater zusammen am Esstisch, vor ihnen eine Flasche Chardonnay. „Ach, Schätzchen! Du siehst hinreißend aus. Jonas wird sich sehr freuen.“ Ich lächele meiner Mutter zu. „Bitte vergiss nicht, dass ein klitzekleiner Fehltritt deinerseits das Ende unserer finanziellen Partnerschaft mit Jonas und seiner Familie bedeuten könnte. Er ist deine und unsere Zukunft, Stella“, sagt mein Vater, seine Stimme klingt wie immer angespannt und monoton. Er leiert seinen einstudierten Text runter. Ich nicke brav, schnappe mir meinen Mantel und verlasse dann das Haus.
„Wow, du siehst echt heiß aus, Babe“, knurrt Jonas, kaum habe ich das Haus betreten. Er selbst trägt eine dunkelblaue Jeans und ein hellblaues Poloshirt, seine Haare sind feucht vom Duschen. Ich trete einen Schritt auf ihn zu, lege meine Arme um seinen Hals und küsse ihn. Es ist das, was alle von mir erwarten. Seine Hände liegen auf meinem unteren Rücken, bis sich die rechte löst und unter mein Kleid wandert. Seine Hand schließt sich um meine Pobacke, er drückt und knetet meine Haut. Ich spüre nichts dabei, stöhne aber leicht, damit Jonas sich zufrieden gibt. „Lass uns nach oben gehen, Babe“, gurrt er in mein Ohr. Ich habe heute keine Lust auf Sex. „Lass uns doch lieber einen Film schauen und was leckeres zu essen bestellen“, schlage ich vor und schaue ihn hoffnungsvoll an. Er verdreht die Augen und zieht mich erneut zu sich. „Ich will nichts essen, ich will dich“, wispert er in mein Ohr. „Jonas, ich möchte heute nicht. Ich bin nicht in der Stimmung.“ Ich sage ihm selten die Wahrheit, vor allem aus dem Grund, weil sie von ihm sowieso nicht akzeptiert wird. „Stell dich nicht so an“, meint er, mittlerweile klingt er genervt. Ich seufze laut, halte ihm aber stand und wiederhole erneut, dass ich heute nicht in der Stimmung für Sex bin. Jonas packt mein Handgelenk. „Stella, lass das!“ Ich winde mich aus seinem Griff, streife mir meine Jacke wieder über und sage: „Ich habe dir gesagt, dass ich heute keine Lust habe. Ich fahre jetzt nach Hause.“ Jonas schaut mich ungläubig an und schnaubt dann. „Dann verpiss dich doch.“ Ich bin es gewohnt, dass Jonas trotzig wird, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Deshalb öffne ich die Haustür und lasse Jonas in seinem Flur stehen. Ich habe ihm zwar gesagt, ich würde nach Hause fahren, aber dort will ich nicht hin. Mir fällt ein, dass Milena mit ihrem Freund über eine Party bei ihm geplaudert hat. Leo. Er wohnt hier in der Nähe und eine Party ist jetzt die Ablenkung, die ich brauche.