Schattenmädchen (Kap.11)
Die ersten Wochen, sogar die ersten Monate unserer Beziehung fühlten sich für mich an, als würde ich wie auf Wolke sieben schweben. Finn verhielt sich in allen Situationen wie der ideale Gentleman aus einem Schwarz-Weiß Film. Als ich ihn meinen Eltern vorstellte, konnte meine Mutter sich gar nicht mehr einkriegen vor Glück. Danach war Finn eine Art Heiliger für sie, den sie auf ein Podest gestellt hatte und in jedem Gespräch, welches ich mit ihr führte, anbringen musste. Mein Vater schien ihn ebenfalls zu mögen, konnte aber nicht ganz so viel Begeisterung an den Tag legen, wie meine Mutter es zu tun pflegte. Seine Eltern empfingen mich eher weniger herzlich, als Finn mich zu einem gemeinsamen Abendessen bei sich zu Hause einlud. Sein Vater erkundigte sich immer wieder nach meinen schulischen Leistungen und verglich diese sofort mit denen seines Sohnes, dem ewigen Einserkandidaten. Seine Mutter dagegen musterte mich die ganze Zeit über mit einem kühlen Blick, der zu sagen schien, dass ich niemals ihren Ansprüchen entsprechen würde. Zwischendurch ließ sie solche Kommentare fallen, wie „Hm, du scheinst dich ja nicht viel mit deiner Ernährung auseinanderzusetzen, nicht wahr?“ oder bezeichnete meine Outfitwahl als jungenhaft und unreif. Finn versuchte daraufhin, die Lage zu entschärfen, weshalb das gesamte Gespräch sich so anfühlte, als würde ich mich innerhalb eines Minenfeldes bewegen. Doch abgesehen von dem Verhältnis mit seiner Familie, konnte ich keinen einzigen Makel an Finn entdecken, der mich auf sein wahres Ich vorbereitet hätte.
Erst nach und nach konnte ich in verschiedenen Momenten Fragmente aufblitzen sehen, die mir zeigten, dass er nicht derjenige war, für den er sich in meinen Augen ausgab. Jedes Mal wenn wir spazieren gingen oder an einem öffentlichen Ort aßen, beobachtete er alle anderen männlichen Anwesenden, die in meine Richtung schauten oder ähnliches. Anfangs nahm ich sein Verhalten einfach hin, weil ich dachte, es wäre normal, dass mein Freund einfach eifersüchtig war, wenn andere Männer seine Freundin anschauten. Irgendwann blieb es aber nicht nur beim Beobachten dieser Jungen sondern er begann, sie darauf anzusprechen, dass sie aufhören sollten, eine vergebene junge Frau so anzustarren. Er begann, sich unfassbar paranoid zu verhalten, sodass es irgendwann zu dem Punkt kam, an dem es mir peinlich wurde vor anderen Menschen, mit ihm an die Öffentlichkeit zu gehen. Dennoch, trotz seines krankhaft eifersüchtigen Verhaltens, nahm ich seine Art einfach hin und sprach ihn nicht darauf an, dass wir unsere gemeinsame Zeit nur noch zu Hause verbrachten. Selbst in der Schule hielten sich die anderen Jungs aus unserem Jahrgang von mir fern, weil sie wussten, wie Finn ansonsten reagieren würde. Es ging sogar so weit, dass Finn von mir verlangte, bei Gruppenarbeiten von dem Lehrer zu verlangen, mich nur mit Mädchen zusammenarbeiten zu lassen. Wenn ich versuchte, mit meiner Mutter darüber zu reden, spielte sie das ganze herunter und meinte nur, ich müsse mich glücklich schätzen, so einen tollen, gut erzogenen Jungen gefunden zu haben. Also hielt ich meinen Mund, weil ich dachte, meine Mutter wüsste schon, was das beste für mich ist.