Schattenmädchen (Kap. 7)
Ich träumte davon, Finn zu küssen, wie er mich in seinen Armen hielt auf seiner Terrasse im schwachen Licht der Sterne. Er meldete sich nicht am Wochenende, aber am Dienstag, nach der Schule, bekam ich eine Nachricht von ihm. „Hast du Lust vorbeizukommen?“, fragte er und ich hielt den Atem an, weil ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte. Ich hatte noch eigentlich eine Menge Hausaufgaben zu erledigen, dennoch wollte ich seine Frage unbedingt bejahen. Meine Eltern waren noch nicht zu Hause, sie waren beide bei der Arbeit, weshalb ich sie auch nicht zu fragen brauchte. Wenn sie mich anrufen würden, um zu fragen, wo ich bin, könnte ich einfach antworten, ich wäre bei Laura. Meine Eltern mochten Laura und fanden, sie war ein vorbildliches Mädchen, weil sie immer gute Noten schrieb und sich nicht in Dummheiten begab. Sie wussten nur nicht, dass ich eigentlich nichts mit ihr zu tun hatte, außer bei den paar Lernprojekten, die wir zusammen bei mir bearbeitet hatten. Ich beantwortete schnell Finns Nachricht, tauschte meine Jogginghose und den gemütlichen Hoodie gegen eine dunkle Jeans und einen pinken Pullover und schlüpfte dann in meine Stiefel. Unten griff ich mir meinen Mantel und verließ dann das Haus. Ich war noch aufgeregter, als ich es vor der Party gewesen war, aber ich freute mich auch darauf, endlich wieder mit Finn alleine sein zu können. In der Schule hatte er mich zwar auf dem Gang begrüßt, aber ein Gespräch war das nicht wirklich gewesen. Ich versuchte, die Hausaufgaben, die auf meinem Schreibtisch auf mich warteten und sich nicht von alleine erledigen würden, zu vergessen und konzentrierte mich lieber auf meine Vorfreude zu dem Treffen. Als ich nach einer halben Stunde bei Finn ankam, kam mir die Siedlung unfassbar ruhig vor ohne die laute Musik und die Stimmen bei der Party am Freitag. Diesmal klingelte ich sofort und wartete dann darauf, dass Finn mir die Tür öffnete. Er erschien kurz darauf mit frisch geduschten Haaren an der Tür und strahlte mich an. „Ich bin froh, dass du es geschafft hast.“ Er zog mich an sich, um mich innig zu umarmen und ich atmete seinen frischen Duft nach dem minzigen Duschgel ein. „Ich bin froh, hier zu sein“, presste ich hervor und löste mich dann von ihm, um nicht völlig zu hyperventilieren. „Komm erst mal rein“, sagte er und ich lief an ihm vorbei ins Haus. Er nahm meine Jacke ab und ich zog meine Stiefel aus. Ohne das Chaos, wirkte alles penibel aufgeräumt, alles hatte seinen rechten Platz und deshalb versuchte ich, meine Schuhe möglichst symmetrisch hinzustellen. Finn bemerkte meine Bemühungen und lachte. Sein Lachen klang rau und tief. „Hör auf, du musst nicht dem Beispiel meiner Mutter folgen. Sie ist einfach zu ordentlich.“ Ich ließ meine Stiefel so stehen und folgte ihm dann zu seinem Zimmer. Bei der Party am Freitag hatte ich keine Gelegenheit gehabt, sein Zimmer zu sehen, aber ich musste zugeben, dass die Einrichtung des Raums zu ihm passte. Anders als im Flur war das Zimmer leicht chaotisch, das Bett war gemacht, der Schreibtisch aber vollgestopft mit Büchern und irgendwelchen Zetteln. Auf dem Stuhl lagen einige Klamotten. „Lass uns einen Film schauen“, meinte Finn und deutete zu seinem Fernseher, der gegenüber des Betts hing.