Schattenmädchen (Kap. 1)
Meine Geschichte beginnt wie beinahe jede Teenie-Romanze beginnt. Eine heimliche Schwärmerei, Schmetterlinge im Bauch, die Aufregung und das pure Glück, wenn der Junge, den man schon so lange aus der Ferne mag, einen fragt, ob man nicht Lust hätte zusammen etwas essen zu gehen. Doch aus dem Gefühl, auf Wolke sieben zu schweben, wurde schnell reine Angst, Verzweiflung und endlose Trauer. Und es schien keinen Weg zu geben, aus diesem Gefängnis mit dem Teufel als Wächter auszubrechen.
Vier Monate zuvor
Ich stand vor meinem Spind und sortierte die Bücher, die wir gerade im Sekretariat für das neue Schuljahr erhalten hatten. Nachdem ich das erledigt hatte, griff ich mir die Sachen, die ich für den heutigen Tag gebrauchen konnte und machte mich auf den Weg zu meiner ersten Stunde. In Gedanken versunken lief ich über den Schulflur, der sich langsam zu leeren begann und starrte auf meine schwarzen Stiefel, die leise auf dem Marmorboden klickten. Meine Umgebung nahm ich nicht wirklich wahr, bis ich mit etwas Hartem, genauer gesagt, mit einem durchaus männlichen Oberkörper zusammenprallte. Mein Mund wurde schlagartig ganz trocken, ich hatte das Gefühl am ganzen Körper erstarrt zu sein, unfähig auch nur ein Wort zu sagen, geschweige denn zu denken. Finn Meyers, Schwimmstar und Mädchenschwarm unserer Schule stand frech grinsend vor mir und wischte sich eine leicht feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Vermutlich kam er gerade aus dem Schwimmtraining. „Hey, Lissa“, grüßte er mich und bückte sich dann, um mein heruntergefallenes Chemiebuch aufzuheben. Ich öffnete den Mund, kriegte aber kein Wort heraus und schloss ihn wieder. Von der Seite betrachtet sah ich vermutlich total lächerlich aus, wie ein Fisch, der nach Luft schnappte. „Man sieht sich dann“, meinte Finn noch und ließ mich dann samt Chemiebuch im Gang stehen. Kaum war er aus meiner Nähe verschwunden, schienen meine Gehirnsynapsen wieder funktionsfähig zu sein und ich setzte mich in Bewegung. Ich kam gerade noch rechtzeitig in den Chemiesaal, bevor Frau Greis die Tür schloss und mit ihrem Unterricht begann. So sehr ich auch versuchte, mich auf ihren Unterricht und die neuen Formeln zu konzentrieren, Finns Lächeln spukte die ganze Stunde über in meinem Kopf umher und ließ mich einfach nicht los.