#twofaced (Kap. 5)
Nach meiner Begegnung mit der düsteren Milena, so wird sie in meinen Kreisen genannt aufgrund ihrer dunklen Kleidung und dem häufig mürrischen Gesichtsausdruck, bin ich ziemlich in mich gekehrt und still. Ich bin nicht einverstanden mit Jonas oder meinen anderen Freundinnen, wenn sie über Milena und ihre Clique herziehen und sich über ihre Outfitwahl lustig machen. Das gleiche ist auch jetzt der Fall, während wir zusammen an unserem üblichen Tisch in der Cafeteria sitzen und die erste große Pause genießen. Ich beobachte Milena, wie sie neben ihrem Freund Leo sitzt und an einer Karotte nagt. Sie ist zweifellos hübsch, ein schmales Gesicht mit großen blauen Augen, langen Wimpern, einer Stupsnase und vollen Lippen. Ich beneide sie darum, auch ohne Make- Up so gut aussehen zu können. Ihre kinnlangen schwarzen Haare lassen sie nur etwas blass erscheinen, ebenso wie die ständigen dunklen Klamotten. „Stella, kommst du heute mit zum Shoppen?“, reißt mich Monika, meine beste Freundin, aus meinen Gedanken. Ich wende den Blick von Milena ab und fokussiere mich auf sie. Dabei lasse ich außer Acht, dass wir bereits am Wochenende eine ausgiebige Shoppingtour hinter uns gebracht haben. Stattdessen setze ich ein breites Lächeln auf meine Lippen und nicke meiner besten Freundin zu. Alles ist besser, als den Nachmittag mit meiner Mutter verbringen zu müssen, die mir erneut einreden wird, wie wichtig es ist, Jonas möglichst bald zu heiraten. Seit neuestem ist das ihr tägliches Mantra geworden, welches sie mir vorbetet und welches mich jeden Tag ein wenig mehr in den Wahnsinn treibt. Aber das muss niemand hier am Tisch wissen, vor allem nicht Jonas selbst, der mich grinsend ansieht und seinen Arm um meine Schultern platziert. Dann beugt er sich ein wenig vor und flüstert mir ins Ohr: „Und danach kommst du zu mir. Meine Eltern gehen heute Abend aus.“ Ich schlucke mühsam und verdrehe innerlich die Augen. Äußerlich lasse ich mir jedoch nichts anmerken und nicke begeistert. „Klingt nach einer perfekten Idee“, quietsche ich und besiegele diese Lüge mit einem Kuss auf seine Lippen.