Schattenmädchen (Kap. 16)
Nach Finns Drohung ließ ich mein abweisendes Verhalten ihm gegenüber sein und tat stattdessen so, als würde ich bei ihm sein wollen und ihn über alles lieben und schätzen. Sein Verhalten veränderte sich dadurch schlagartig, er schenkte mir wieder Blumen und kleine Geschenke und ich bekam an manchen Tagen den Finn zu Gesicht, in den ich mich verliebt hatte. Der Schulball, der in der letzten Schulwoche vor den Winterferien stattfand, ein Jahr, nach Beginn unserer Beziehung, veränderte jedoch alles. Finn fragte mich mit allem Drum und dran, er kaufte mir Blumen, schrieb mir sogar ein Liebesgedicht und bat darum, mit mir auf den Ball gehen zu dürfen. Ich konnte nicht anders. Trotz all seiner Makel und dem mehr als schlechten Verhalten mir gegenüber, schmolz ich bei diesen kleinen Gesten dahin und willigte ein, mit ihm zum Ball zu gehen. Als es dann soweit war, bereute ich jedoch, mich überhaupt auf ihn eingelassen zu haben. Nach einem Jahr Beziehung war es vielleicht zu spät, so zu denken, aber woher hätte ich wissen sollen, wie weit er gehen würde, um mich gefügig zu machen? An dem Abend zog ich mir das rote Kleid an, von dem er gewollt hatte, dass ich es mir kaufte. Ich glättete meine Haare, weil ich wusste, dass er es so mochte. Ich schminkte mich dezent, damit die anderen Jungs nicht auf mich aufmerksam werden würden. Ich zog die silbernen Stilettos an, weil er sie mögen würde. Ich tat alles, damit er nicht wütend werden würde. Aber am Ende war es ihm trotzdem zu wenig. Er holte mich um acht Uhr ab, gut aussehend in seinem schwarzen Anzug und der dunkelroten Fliege, passend zu meinem Kleid. „Du siehst gut aus“, sagte er, in seiner Stimme schwang jedoch ein prüfender Unterton mit. Ein Signal dafür, dass er unzufrieden mit mir und meinem Erscheinungsbild war. Ich nickte bloß lächelnd und drückte seine Hand. Wir fuhren schweigend zu unserer Schule, Finn fluchte lediglich über die Fahrradfahrer, die ihm die Vorfahrt nahmen und unzuverlässig fuhren. Vor der Turnhalle hatte sich eine lange Schlange gebildet, die Schüler warteten darauf, eingelassen zu werden. Weiße Atemwölkchen stiegen aus ihren Mündern, die Mädchen kicherten nervös, wegen ihres Dates, die Typen versuchten, mit geschmacklosen Witzen die Situation aufzulockern. Und doch hätte ich alles dafür gegeben, jetzt auch so unbeschwert da stehen und mich auf den Abend freuen zu können. Finn taxierte die Jungs mit bösen Blicken, sobald sie auch nur in meine Richtung schauten und ich fühlte mich zunehmend unwohler. „Du hättest diese Schuhe nicht zu dem Kleid anziehen sollen“, zischte Finn mir ins Ohr. „Jetzt denken die ganzen Typen hier, ich hätte dich nicht im Griff, wenn ich dich aus dem Haus gehen lasse, wie eine zweitklassige Nutte.“ Seine Worte schmerzten. Ich presste die Lippen aufeinander, drehte den Kopf zur Seite, damit er nicht sehen konnte, wie sehr seine Worte mir weh taten. Zum Glück begann die Schlange sich vorwärts zu bewegen und ich musste nicht mehr tatenlos auf der Stelle stehen. In der Halle roch es nach Schweiß und Mädchenparfum, die Tanzfläche war leer. Einzelne Grüppchen tummelten sich in den Ecken, niemand traute sich zu tanzen. „Ich hol mir etwas zu trinken“, sagte ich zu Finn und lief zum Buffet. Kaum hatte ich ihn stehengelassen, kamen zwei Mädchen aus der neunten auf ihn zu und begannen, mit ihm zu flirten. Solche Szenen bekam ich häufig mit, aber ich ließ es auf sich beruhen. Ich trank mein Wasser aus und lief zurück zu Finn. Die Tanzfläche hatte sich mittlerweile gefüllt. Auf dem Weg zu Finn sprach mich ein Junge aus meinem Mathekurs an, Leon hieß er. „Willst du vielleicht tanzen?“, fragte er. Seine Wangen waren gerötet, es kostete ihn offensichtlich viel Mut mich anzusprechen. „Tut mir leid, ich bin mit meinem Freund…“ Ich konnte den Satz nicht mehr beenden, weil Finn sich bereit auf ihn stürzte und seine Faust Leons Kinn traf. Ich schrie erschrocken auf. Die Musik dröhnte in meinen Ohren. „Du Bastard“, schrie Finn und holte erneut aus. Zwei von Leons Freunden zogen Finn von Leon und hielten ihn fest. Leons Nase blutete, sein Kinn war knallrot. Finn riss sich los und kam gefährlich langsam auf mich zu. „Du verdammte Schlampe“, zischte er, Spucke traf mich. Ich blieb stumm. „Du bist eine widerliche Hure!“ Seine Hand traf mich an der Wange. Die Musik war verstummt, alle starrten uns an. Er holte erneut aus, Schmerz durchzog mein Gesicht. „Es reicht!“, brüllte einer der Lehrer, Finn wurde von mir weggezogen. Entfernt konnte ich Polizeisirenen hören. Der Albtraum hatte ein Ende.