Neben dir sein (Kap. 20)
Marcos Anblick, wie er da neben Ivan gestanden und sich ihm unterworfen hat, lassen mich den ganzen restlichen Tag über nicht mehr los. Immer wieder schweifen meine Gedanken dahin zurück und ich sehe ihn vor mir, diesen kalten Blick, den er mir am Ende zugeworfen hat, trotz des Lächelns. Die Tatsache, dass er sich auch nicht mehr bei mir meldet, beunruhigt mich noch mehr. Ich kann diese zwei Seiten Marcos nicht miteinander verknüpfen, weiß nicht, wie ich den einen ohne den anderen wahrnehmen soll. Ivan hat eine gewisse Macht über ihn und Marco scheint sich gar nicht dagegen zu wehren. Auch dieses mysteriöse „Iron“ lässt mich ratlos dastehen. Ich habe es nachdem ich nach Hause gekommen bin gegoogelt, aber bis auf eine Übersetzung, die mir gezeigt hat, dass das die englische Übersetzung von Eisen ist, nichts weiteres gefunden. Bei der Verbindung von Iron und Hamm, unserer Stadt, gab es keine Suchergebnisse. Immer wieder frage ich mich, ob die Mappe, die ich in Papas Schreibtisch gefunden habe, vielleicht mehr Informationen beinhalten könnte. Egal, wie lange ich darüber auch nachdenke, zu einer plausiblen Antwort komme ich einfach nicht. Irgendwann schmerzt mein Kopf von der Grübelei, wonach ich einfach aufgebe und mir gut zu rede, dass Marco sich bestimmt nicht in Gefahr bringt.
Als ich am späten Abend in meinem Bett liege und die Fotos durchgehe, die ich von meiner Wand abgenommen habe und die zum größten Teil Nick und mich zeigen, beginnt mein Handy zu klingeln. Marcos Name leuchtet auf dem Bildschirm auf und ich vermute sofort das Schlimmste, als ich auf Annehmen drücke und mir das Handy ans Ohr halte. „Hallo?“, krächze ich und halte den Atem an. Im Hintergrund höre ich Gelächter und vereinzelte Rufe, überwiegend von männlichen Stimmen. „Marco?“, frage ich, als keine Antwort kommt. „Eliiiisee!“, ruft er mir ins Ohr, sichtlich betrunken. Warum trinkt er an einem Wochentag, obwohl er weiß, dass am nächsten Tag Schule ist. „Wo bist du?“, möchte ich wissen, ein unangenehmes Gefühl macht sich in mir breit. „Partyyyy“, kommt eine erneute Antwort von ihm, das Lachen im Hintergrund wird lauter, wahrscheinlich hat er auf Lautsprecher umgestellt. „Isch vermisch disch“, lallt Marco, gefolgt von einem Kichern. Ich weiß nicht, ob ich seine Worte ernst nehmen soll, vor allem wegen des Lachens, aber dennoch macht mein Herz einen unwillkürlichen Satz, als ich sie aus seinem Mund höre. Er ist betrunken“, ermahne ich mich, er weiß wahrscheinlich gar nicht, was er da gerade tut. „Duu bis ssschööön“, krakeelt er durch den Hörer und ich halte diesen von mir weg, so laut ist er. Ich mache mir Sorgen um ihn, weiß aber auch, dass ich mit meinen Appell-Reden jetzt nicht weit kommen werde. „Ich muss los“, sage ich, dann habe ich auch schon aufgelegt. Dieses Telefonat erinnert mich zu sehr an Nick, der mich immer angerufen hat, als er auf Partys war mit seinen Kumpels. Schon ziemlich angesäuselt griff er zum Hörer und lallte mich voll mit Komplimenten und Liebeserklärungen. Mein naives Mädchenherz zerfloss jedes Mal. Dennoch fühlt es sich mit Marco anders an. Und erneut liege ich lange wach und grübele über ihn und Ivan und Iron nach.