Neben dir sein (Kap. 32)
Am Morgen bin ich so übermüdet, dass ich mich kaum aus dem Bett quälen kann, weshalb ich auch froh bin, dass ich heute nicht in die Schule gehen muss. Ich bleibe noch ein bisschen liegen, raffe mich dann aber dazu auf, aufzustehen, als ich die Klingel unten höre. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits zehn Uhr ist. Nach einer kurzen Dusche bin ich einigermaßen fit und ziehe mir schnell eine Leggings und einen dunkelblauen Hoodie an. Meine Mutter hantiert bereits in der Küche herum, es riecht nach Kaffee und frischem Toast. „Guten Morgen“, sage ich lächelnd, als ich meine Mutter am Herd stehen und Rührei zubereiten sehe. Mein Lächeln erlischt jedoch, als ich Marco am Küchentisch sitzen sehe. „Was machst du denn hier?“ Die Worte kommen harscher aus meinem Mund, als ich es eigentlich beabsichtigt habe. Marco steht auf und kommt lächelnd auf mich zu. „Ich habe dich ganz einfach vermisst.“ Er zieht mich ein eine innige Umarmung und ich versteife mich ungewollt. Wo ich jetzt dieses neue Detail bezogen auf Ivan kenne, kann ich immer noch nicht genau einordnen, wie Marco in das Bild passt. Weiß er davon? Weiß er, dass Nick mein Freund gewesen ist, bevor Ivan seinem Leben einfach ein Ende bereitet hat? Und weswegen? Wegen Geld, ich kann einfach nicht fassen, dass Nick in solche düsteren Geschäfte verwickelt gewesen ist, ohne mir etwas davon zu sagen. Ich atme tief durch und sehe dann zu Marco. Bevor ich mit ihm über dieses Thema reden werde, muss ich erst einmal den Hunger stillen, der sich in meinem Magen breitgemacht hat. Mama sieht glücklich aus, bemerke ich, als sie mir und Marco Rührei auf die Teller lädt. Die Ergebnisse unserer Hypnosesitzungen scheinen sie sehr zufriedengestellt zu haben. Schweigend sitzen Marco und ich uns gegenüber und kauen, während Mama angeregt von dieser Sendung erzählt, die sie neulich im Fernsehen gesehen hat. Es ging um die Gefährdung von Thunfischen und Maßnahmen, um dieser vorzubeugen. Sie scheint zu merken, dass ich angespannt bin, denn sie wirft mir immer mal wieder ein verständnisvolles Lächeln zu und widmet sich dann wieder Marco und ihrer Thunfisch-Story. Nach dem Essen helfen wir meiner Mutter mit dem dreckigen Geschirr. Ich ziehe Marco aus der Küche in den Flur und sage, dass ich mit ihm reden muss. „Was ist denn los?“, fragt er mich, sein Blick ist besorgt, als ich ihn in mein Zimmer lotse. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, sehe ich ihn an und versuche, zu ergründen, ob er Bescheid weiß oder nicht. „Du hast mir von Ivan und von dieser Gang erzählt“, beginne ich und merke, wie Marco sich versteift. „Ja?“, höre ich von ihm, seine Stimme klingt leicht unsicher. „Nun, ich hatte einen Freund, ich habe ihn geliebt und er war einer der Wichtigsten Menschen in meinem Leben. Und dann vor sechs Monaten, wurde er vor meinen Augen erstochen. Klingelt da etwas bei dir?“ Ich fühle diese Wut in mir aufsteigen, weil ich sehe, wie Marcos Gesicht immer blasser und blasser wird. Und da ist mir klar, er steckt tiefer in dieser Situation drin, als ich gedacht habe. Und ich weiß nicht, ob ich die ganze Wahrheit ertragen werde.