#twofaced (Kap.4)
Während Milena versucht, sich die an der Tafel stehenden Matheformeln in den Kopf zu prägen, fällt ihr Blick auf das turtelnde Pärchen in der Reihe vor sich. Dort sitzt Stella, das Sternchen der Schule, mit ihrem Freund, der offensichtlich versucht, ihr unter dem Tisch zwischen die Beine zu gehen. Sie scheint es zu genießen und wirft ihm immer wieder verliebte Blicke zu. An Milenas Schule gehört es sich aufgrund unausgesprochener Regeln, Stella entweder zu bewundern oder sie zu verabscheuen. Kurz gesagt, man muss ihr seine Aufmerksamkeit schenken, egal, in welcher Form. Doch Milena hat sich noch nie mit Regeln anfreunden können, sodass sie eine Ein-Mann-Kategorie bildet. Nämlich die, der es ziemlich egal ist, was Stella mit ihrem Leben anstellt und ob es sie überhaupt gibt. Sie hat genug eigene Probleme am Hals, als dass sie sich auch noch für den neusten Klatsch um Stella interessieren könnte. Als es zum Stundenende gongt, packt Milena ihre Sachen in die Tasche und steht auf. Hinter sich hört sie zwei Mädchen über die Party von Leo am Freitagabend sprechen. Einmal im Monat veranstaltet Leo eine Party bei sich zu Hause, zu der er alle Leute aus der Oberstufe einlädt. Manchmal verirren sich auch einige Zehntklässler dorthin und tummeln sich dann zwischen den Großen, Leo lässt sich davon jedoch nicht beirren. Während Milena darin vertieft ist, den beiden hinter sich zuzuhören, wie sie über mögliche Outfit-Optionen reden, merkt sie nicht, wie Stella und ihr Freund gerade dabei sind aus der Tür zu treten. Sie läuft in Stella rein. Diese dreht sich erschrocken um und ihre Augen werden ganz groß, als sie Milena hinter sich stehen sieht. „Oh, sorry“, murmelt diese und möchte an der vor ihr stehenden Blondine vorbeigehen. Stella sieht aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Wahrscheinlich erinnert Milena sie auch an einen in ihrem schwarzen Jeansminirock, dem schwarzen Pullover, den schwarzen Docs und den schwarzen Haaren. Dazu kommt noch der Nasenring, der für Menschen wie Stella, die ein makelloses Gesicht vorzuweisen haben, furchterregend erscheinen muss. Erst als ihr Freund sie in die Hüfte zwickt und sie somit aus ihrer Schockstarre befreit, geht Stella weiter und auch Milena kann ihren Weg in die Cafeteria fortsetzen, in der Leo bereits auf sie wartet.