Schattenmädchen (Kap. 13)
Jetzt, wenn ich an Finn und mich zurückdenke, verstehe ich nicht, wie niemand in meinem Umfeld zu bemerken schien, wie unglücklich mich die Beziehung nach einer Zeit werden ließ. Meine Mutter verehrte ihn und das Bild im Kopf, das sie sich von ihm gebildet hatte. Mein Vater hatte sich von der Situation nach und nach distanziert und tat jeden meiner Versuche, ihm von Finns Umgang mit mir zu erzählen, mit einem enttäuschten Kopfschütteln ab. „Du musst einfach mehr an dir arbeiten, Elise. Dann wird er auch nichts an dir auszusetzen haben.“ Damals zeigte ich ihm nicht, wie sehr seine Worte mich trafen, aber sein Verhalten mir gegenüber verdeutlichte mir umso mehr, wie wenig meine Familie mich ernst zu nehmen schien. Worauf ich hinaus möchte ist, dass niemand die Ernsthaftigkeit der Situation wahrnahm, bis es dann zu spät war.
Ungefähr acht Monate, nachdem wir offiziell zusammengekommen waren, ergab sich die Situation, in der Finn sich endlich mal wieder dazu herabließ, mit mir das Haus zu verlassen. Seine Paranoia war in den letzten Monaten gestiegen, mittlerweile trafen wir uns nur noch bei ihm oder mir zu Hause. Er vermutete hinter jedem Lächeln, hinter jedem Blick eines Jungen einen Hinterhalt. Er dachte jedes Mal, ich würde ihn betrügen, ich wäre untreu, ich wäre die böse Lügnerin. Jedes Mal endete es damit, dass ich in Tränen aufgelöst um seine Vergebung bettelte, während er so tat, als wäre ich der Teufel in Person. Ich wusste selbst nicht, warum ich mich so vor ihm erniedrigte, aber ich wusste, dass wenn ich es nicht tat, mein Leben dadurch nicht leichter werden würde. Er rief mich nach der Schule an und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm Essen zu gehen. Ich verstand nicht so ganz, wieso er auf einmal auf die Idee gekommen war, aber ich willigte ein, bloß um keinen Streit zu provozieren. Er verlangte von mir, dass ich mich „zeigbar“ zurecht machte. Ich bekam häufig von ihm zu hören, dass ich mich weiblicher und anziehender für ihn kleiden sollte. Im nächsten Moment konnte er mir aber auch vorwerfen, eine Schlampe zu sein, nur weil ich einen Rock zur Schule angezogen hatte. Dennoch zog ich an diesem Abend ein Kleid an, welches er für mich gekauft hatte und machte mich schick, so wie er verlangt hatte. Er holte mich ab, zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Führerschein bestanden, machte mir ein Kompliment und küsste mich. Ich ließ es über mich ergehen, täuschte ein liebevolles Lächeln vor und strich mir dann die Haare vors Gesicht, um ihn während der Autofahrt nicht anschauen zu müssen. Er versuchte, belanglosen Small-Talk mit mir zu führen, fragte mich über meinen Französisch- Kurs aus, in dem er nicht war, weil er Latein belegt hatte. Ich antwortete ihm so, wie er es von mir erwartete, lächelte zwischendurch, jedoch immer darauf bedacht, keine Jungen oder andere provokante Themen anzusprechen. Während der Autofahrt schien er zufrieden zu sein, doch als wir ausstiegen, krallte er sich in meinen Arm und zischte mir ins Ohr: „Benimm dich gefälligst.“ Der Schmerz trieb mir Tränen in die Augen, aber ich blinzelte sie weg und nickte brav, so wie er es wollte.
Das Essen verlief unspektakulär, unserem Tisch war zu meinem Glück eine Kellnerin zugeteilt, sodass Finn keine Szene machte. Er bestellte für mich, ohne zu fragen, was ich wollte, aber ich war es mittlerweile gewohnt, sodass ich ihn einfach dankbar anlächelte und seine Hand drückte. Die ganze Zeit über hoffte ich, dass er mich danach einfach nach Hause fahren würde, aber zum Ende hin meinte, dass er noch wollte, dass wir zu ihm fuhren. Seine Eltern wären nicht da. Ich wusste, was das hieß. In den letzten Wochen, hatte er immer wieder Anspielungen darauf gemacht, dass er endlich mit mir schlafen wollte. Ich hatte immer wieder eine neue Ausrede erfunden, aber wir waren jetzt an einem Punkt, an dem ich ihn nicht mehr zurückweisen konnte. Also bejahte ich seinen Vorschlag und wir fuhren nach dem Essen zu ihm. Im Auto fing er bereits an, mit seiner Hand unter mein Kleid zu fassen, was ich mir gefallen ließ, obwohl alles daran mich anwiderte. Als wir ausstiegen, hob er mich hoch und trug mich bis hinauf in sein Zimmer. Er sagte mir, ich solle die Augen schließen und ich tat, was er verlangte. Meine Angst vor ihm war einfach zu groß. Er schien sich auszuziehen, weil ich nicht sofort sein Gewicht auf mir spürte. Er presste seine Lippen auf meine, begann, am Reißverschluss meines Kleids rumzufummeln. „Du bist so heiß“, stöhnte er und zog mir das Kleid aus. Meine Unterwäsche zerrte er ebenfalls von mir, er tat mir dabei weh, ich blieb stumm. Alles was er tat, war grob, schmerzhaft. Ihn schien nicht zu interessieren, dass es mein erstes Mal war, dass ich es langsam angehen wollte. Er wusste, wie ich mich fühlte, weil wir darüber gesprochen hatten. Aber wie alles andere, war es ihm einfach egal.