Neben dir sein (Kap. 35)
Der Gesichtsausdruck meines Vaters verändert sich schlagartig, als ich mit den Worten, wer Nick vor meinen Augen erstochen hat, rausrücke. Der trübe Ausdruck verschwindet aus seinen Augen, stattdessen sieht er nun entschlossen und tatkräftig aus. „Ich muss Tomas anrufen“, verkündet er und verlässt den Raum. Meine Mutter sieht mich forschend an, so als wüsste sie nicht genau, wie sie meine Stimmung einschätzen sollte. In dem Moment meldet sich mein Handy. Marco. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter, ignoriere das schlechte Gewissen, das sich in den Tiefen meines Bewusstseins regt und lehne den Anruf trotzdem ab. Ich kann jetzt nicht mit ihm sprechen, obwohl er noch vor kurzem in meinem Zimmer gesessen und mich angefleht hat, seinen besten Freund nicht an die Polizei zu verraten. „Alles in Ordnung, Kleines?“, höre ich Mamas Stimme, sie klingt liebevoll, zärtlich, sanft. Als hätte sie Angst, mich ansonsten zu zerbrechen. Ich nicke, als Papa ins Zimmer kommt, das Handy noch in der Hand und mir bedeutet, aufzustehen und mit ihm zu kommen. Ich stehe auf und folge ihm, werfe meiner Mutter noch einen Blick zu. Sie lächelt mir aufmunternd. In dem Büro meines Vaters entdecke ich zuerst die beiden Aktenmappen, die ich bereits kenne. „Setz dich, Tomas ist bereits unterwegs.“ In dem Moment merke ich, dass Marco ja auch ganz schön tief in diese Sache verwickelt ist, was wird jetzt aus ihm? „Was passiert mit Marco?“, frage ich meinen Vater, ich habe Angst vor seiner Reaktion, vor der Wahrheit. Papa sieht mich fragend an und wirft dann einen Blick auf die Aktenmappe. „Was interessiert dich denn dieser Typ? Er ist in diese Gang verwickelt, da müssen wir ihn auch ins Verhör nehmen. Außerdem hat er einige Kleinverbrechen an der Backe. Diebstahl, kleinerer Drogenhandel.“ Ich schnappe nach Luft. Ich habe gewusst, dass Marco kriminell unterwegs gewesen ist, vor allem, um Ivan aus der Patsche zu helfen. „Er hat das nur für Ivan getan“, verteidige ich Marco. Mein Vater hebt seine Augenbraue. „Hat er dich das so gesagt? Er wollte sich bloß schützen.“ In dem Moment, bevor ich die Chance bekomme, etwas zu erwidern, klingelt es und wenig später steht Onkel Tomas in Papas Büro. Er macht diesen seltsamen Männerhandschlag mit Papa, umarmt mich kurz und setzt sich dann auf einen der Stühle. „So, du hast dich also erinnert. Bist du sicher, dass es Ivan gewesen ist?“ Ich bejahe seine Frage, dann gehen wir die Gründe und die Beweise durch, mein Vater und er bereden noch einmal die anderen Gang-Mitglieder. Bei Marcos Namen huscht Papas Blick zu mir, er wirkt ein wenig besorgt. Tomas verspricht mir nach einer kurzen Einweihung in das Geschehen, dass er sich persönlich um Marco kümmern wird und versuchen möchte, eine möglichst milde Strafe für ihn aushandeln zu können. Damit gebe ich mich fürs Erste zufrieden. Danach geht alles ganz schnell. Tomas ruft seine Einheit zusammen, schickt sie zu dem Ort, an dem sie die Gang geortet haben und fährt dann selbst los. Den ganzen Abend sitze ich wie auf heißen Kohlen. Ist alles erfolgreich gelaufen? Sitzen diese widerlichen Kerle hinter Gittern? Als dann endlich, um elf Uhr abends, der Anruf von Tomas kommt, alles sei gut gelaufen, atme ich erleichtert auf. Nachdem wir aufgelegt haben, erhalte ich eine SMS von Marco. „Wie konntest du nur?“