Neben dir sein (Kap. 13)
Wir sitzen nach einem kurzen Fußmarsch in einem Cafe in der Nähe der Schule und schweigen uns mehr oder weniger an. Meine Mutter hat ziemlich glücklich reagiert, als ich sie auf dem Weg angerufen habe, um ihr von meinem Vorhaben zu erzählen. Nachdem wir bestellt haben, schaut Marco mich an und beginnt zu lächeln. „Was ist denn?“, frage ich und bin auf einmal schrecklich verlegen. Sein Blick ist zugleich intensiv und unglaublich sanft. „Ich mag es, dich anzuschauen“, antwortet er und die Grübchen kommen zum Vorschein, als er noch breiter zu lächeln anfängt. Ich spüre sofort, wie meine Wangen sich rot färben und weiß ehrlich gesagt auch nicht, was ich ihm auf diese mehr als ehrliche Aussage antworten soll. Statt einer Antwort lächele ich ebenfalls und widme mich dann dankbar dem Essen, welches kurze Zeit später an unseren Tisch gebracht wird. Ohne groß zu reden, genießen wir unser Essen. Einige Male sehen wir uns über den Tisch hinweg an und schenken einander immer mal wieder ein nettes Lächeln. Nach dem Essen besteht er darauf, für mich zu bezahlen, was ich dann auch annehme, wenn auch nur widerwillig. Draußen bläst uns ein eisiger Wind entgegen, als wir aus dem Lokal ins Freie treten. „Möchtest du noch spazieren gehen?“, möchte Marco wissen und ich zwinge mich, ihn anzusehen, statt einfach auf den Boden zu starren. Mama freut sich wahrscheinlich umso mehr, je länger ich mit einem neuen „Freund“ unterwegs bin, weil sie dann beruhigt über meine sozialen Kontakte sein kann. In den letzten Monaten hatte sie ständig Angst, ich würde gar nicht mehr aus dem Haus gehen und zu einem Stubenhocker mutieren. Also nicke ich, um seine Frage zu beantworten und wir setzen uns in Bewegung. Irgendwann finden wir auch ein passendes Gesprächsthema und so reden wir über Gott und die Welt, während es über unseren Köpfen zu schneien beginnt.
Marco bringt mich nach unserem Spaziergang nach Hause, umarmt mich zum Ende hin und geht dann von dannen, ohne sich noch einmal umzuschauen. Diesen fürsorglichen Jungen kann ich nicht in Einklang mit der ominösen Akte in Papas Schreibtisch bringen und weiß nicht, wie ich diese Information verdrängen soll. Aber ich möchte Marco wirklich kennen lernen, was ein Fortschritt ist im Bezug auf mein soziales Umfeld ist, wie Marcus so schön sagen würde. Aber die Akte geht mir nicht mehr aus dem Kopf und überschattet nach und nach die schönen Seiten, die ich an Marco bereits kennengelernt habe. Wie dunkle Tentakel krallt sich diese eine Tatsache um meine Gedanken und zieht und zieht, bis ich an nichts anderes mehr denken kann.