Neben dir sein (Kap. 18)
Der Kuss hält mich natürlich die ganze Nacht wach, wie so typisch für Teenagerfilme und -bücher. Ich wälze mich in meinem Bett wie eine Protagonistin dieser beiden Genres und weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Vermutlich reagiere ich auch einfach nur über, immerhin werden weltweit täglich irgendwelche Menschen geküsst und niemand stört sich daran, aber dennoch ist dieses Gefühl etwas Neues und somit auch etwas Aufregendes für mich. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich je so mit Nick gefühlt zu haben. Unser erster Kuss war eine Art Experiment, eine Art Test. Es sollte dazu dienen, uns beiden mehr Klarheit über die neue Welt zu verschaffen, die sich auftat, als wir im Biologieunterricht zum ersten Mal über die Entstehung von Babys sprachen. Im Alter von 11 Jahren beschlossen Nick und ich dann eines Nachmittags, herauszufinden, warum man sich unbedingt auf den Mund küssen musste, damit Babys entstanden. Nick drückte mir einen kurzen Schmatzer auf die Lippen und wir setzten uns auf mein Bett, um zu erfahren, ob ich jetzt wirklich ein Baby bekommen würde oder nicht. Irgendwann kam dann meine Mama herein und fragte, ob wir Hunger hätten. Ich scheuchte sie weg, weil sie mich dabei stören würde „auf mein Baby zu warten“. Sie lachte sich schlapp, bevor sie sich zu Nick und mir setzte und erklärte, was der Biolehrer nicht geschafft hatte, uns zu vermitteln. Natürlich zählt dieser „Kuss“ nicht wirklich als mein erster, aber als es dann wirklich so weit war und Nick und ich ein Paar geworden sind, empfand ich die Knutscherei als etwas Normales. Vielleicht auch aufgrund unserer Vorgeschichte. Mit Marco erlebe ich alles von Neuem, die obligatorischen Schmetterlinge im Bauch, die ein gutes Zeichen für Verliebtheit sind, die ganze Aufregung und eben auch das große Tam-Tam um den ersten Kuss. Ich komme mir ein wenig lächerlich vor, so lange über einen einzigen Kuss zu nachzugrübeln, vor allem, weil ich mir sicher bin, dass Marco so etwas als etwas Alltägliches ansieht. In der Schule starren ihm fast alle Mädchen hinterher und die Jungs sehen bewundernd zu ihm auf. Selbst die Lehrkräfte lassen sich von ihm einlullen, als wären sie in unserem Alter.
Offensichtlich führen diese Gedanken also zu einer schlaflosen Nacht und am nächsten Morgen bin ich geplättet. Zum Glück ist es kein Schultag, ansonsten hätte ich wahrscheinlich nichts wahrnehmen können, was vorne an der Tafel passiert. Als ich nach unten komme nach einer kurzen eiskalten Dusche, die mich nur bedingt wach werden lässt, sehe ich, dass mein Vater erstaunlicherweise mal nicht bei der Arbeit ist, sondern mit meiner Mutter am Küchentisch sitzt und frühstückt. „Guten Morgen, Els“, grüßt mich Mama, während mein Vater mir einfach nur zunickt und sich dann wieder seinem Rührei widmet. „Möchtest du etwas Rührei mit Bacon?“, fragt meine Mutter und deutet auf den Teller neben sich. Ich bejahe diese Frage, obwohl ich eigentlich noch nie ein großer Fan von so einer Art von Frühstück gewesen bin. Das war immer Nicks Ding. Vielleicht entscheide ich mich genau deswegen dafür, aber als ich mir den ersten Bissen in den Mund schiebe, fühlt es sich an, als würde ein Teil von Nick in mir seinen Platz wiederfinden.